Fast hätte sie mich umgerannt. Auf dem
Rücken trägt sie im blauen Koffer ein Cello, das fast so groß ist,
wie sie selbst. Während sie mit der einen Hand einen Kuchen
balanciert, hält sie mit der anderen die Keksdose fest, damit diese
nicht von der Kuchenhaube rutscht. In der Armbeuge desselben Arms
hängt ihre Schultasche. Mein Fazit: Ein engagiertes Mädchen, das
wahrscheinlich heute Geburtstag hat. Ihr Gesicht verrät mir: Sie ist
höchstens in der sechsten Klasse und offensichtlich im Stress, also
lasse ich sie laufen und setze meinen Weg durch das Schulgebäude
fort.
Eine Stufenkameradin fragt mich wo wir
Unterricht haben und macht mich anschließend auf den Jungen
aufmerksam, der mal wieder wegen seiner ungestümen Art gehänselt
wird und an ihrem Tonfall merke ich, dass sie den Kindern, die ihn
anschreien und schubsen recht gibt. Ich reagiere eisig (was meiner
eigentlich lieben Stufenkameradin nicht gerecht wird) und überlege,
ob ich eingreifen soll, obwohl ich genau weiß, dass es auch dieses
Mal nichts ändern wird - Höchstens den Streit auf die Toilette
verschiebt, wo ich machtlos bin.
Zum Glück kommt in diesem Moment der
Lehrer der kleinen Raufbolde, und schickt sie energisch in ihren
Klassenraum.
Ich vernehme eine Stimme irgendwo
hinter mir. Wer hat mich gerufen?
Da kommt eine gute Freundin angelaufen,
die mir noch schnell etwas mitteilen will, bevor wir beide (sowieso
zu spät) in den Unterricht müssen. Heute ist einfach zu viel los
und meine Stufenkameradin geht schon einmal vor.
Als mir auf dem Weg zum Raum die
Musiklehrerin entgegenkommt, die mich immer grüßt, obwohl ich sie
nur einmal gebeten habe einen Raum aufzuschließen und nie bei ihr
Unterricht hatte, lächle ich sie freundlich an. Sie lächelt zurück.
Doch nie wechseln wir ein Wort.
Mein Lehrer beachtet mich kaum, als ich
zu spät in den Unterricht platze, mich möglichst leise auf meinen
Stuhl setze und Bücher und Ordner raus krame, während ich in das
Buch meiner Sitznachbarin schiele um zu sehen, was gerade gemacht
wird.
Der Lehrer macht heute früher Schluss,
weil er noch einen anderen Termin hat und ich finde fünf Jungs aus
meiner Stufe im Foyer beim Kartenspielen vor, die gerade eine
Freistunde haben. Eine andere macht Hausaufgaben, wieder eine anderer
steht vorm Kiosk und versucht sich zu entscheiden welches Brötchen
er kaufen soll, während ich mich auf den Weg in die Mensa mache um
mein bestelltes Mittagessen zu mir zu nehmen, bevor ich mir zwei
Stunden meines Hassfachs antue. Die letzten zwei Stunden des Tages.
Und so könnte ich weiter erzählen...
Sind es im Prinzip nicht immer die
gleichen Szenen, die sich tagtäglich vor uns abspielen?
Und wir verändern kaum etwas. Nein wir
machen Rituale aus dem, was uns begegnet. Das gibt uns Sicherheit.
Mit dem Literaturkurs haben wir diese
Woche ein Theaterstück aufgeführt, für das wir viele, viele
Stunden in der Schule mit Proben verbracht haben - Zu Zeiten, an
denen niemand außer uns da war. Seit Beginn der intensiven Probezeit
verspüre ich immer wieder das Bedürfnis meine Schuhe auszuziehen
und auf Socken durch das Gebäude zu laufen oder mir einen Tee zu
kochen, so albern das auch klingt. Natürlich tu ich das nicht.
(Jedenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen)
Die Schule allerdings wird mir
allmählich zum alltäglichen Zuhause.
Hier wohne ich, hier lebe ich, hier
arbeite ich. Hier sind Menschen, die in mein Leben gehören.
Zugegeben: Es sind sehr viele, und nur mit wenigen hat man WIRKLICH
etwas zu tun.
Aber die vielen typischen Begegnungen
und meine Art Menschen um mich herum zu analysieren und mit ihnen
umzugehen wie sie nun einmal sind und Beziehungen zu ihnen aufzubauen
sind Ursache für dieses seltsame Gefühl von: Hier lebe ich.
(Vermute ich)
Jeder in der Schule spielt eine andere
Rolle...die des Stufenpapas oder die der alles überblickenden Oma.
Der, der einen ernst nimmt und die chaotische Tante, die einfach nie
einen Plan von irgendwas hat.
Und so weiter.... kennt ihr das?
Das Leben besteht echt aus komischen
Systemen!
Liebe nachdenkliche Grüße
Glöckchen.