Donnerstag, 12. Dezember 2013

Straßendosen - eine Beobachtung

Ich verlasse die Bahn, "zurücktreten bitte" nuschelt ein Schaffner, oder so ähnlich?! So genau weiß das eigentlich keiner. Nicht sehr motiviert der Typ. Die Rolltreppe fährt mich vorbei an Ballettaufführungen, Kongressen und Messen, sowie Werbung für eine Krankenkasse und eine regionale Bank.
In dem lebendigen S-Bahnhof sitzen Obdachlose in kleinen Gruppen an den Wänden und unterhalten sich. Ein Betrunkener, der nur eine Handlänge von einem weiteren ärmlich gekleideten steht, nuschelt besoffen im Dialekt: "Du muscht mich irgendwann mal umbringe...". Ein Mann mit Hund ist eingeschlafen - ein Passant weckt ihn um ihm Geld zu geben. Verwirrende Nächstenliebe?! Wieder eine Rolltreppe. Keine Plakate. Dafür ein älteres Ehepaar, das offensichtlich mit ihrem dreijähigen Enkelsohn auf den Weihnachtsmarkt will und an seiner Kleidung rumzuppelt. - Ist der kleine denn auch warm genug angezogen? Ich muss unwillkürlich grinsen. Da ist sie: die frische Luft. Mein Ziel? Irgendwo geradeaus und dann rechts abbiegen, auf der rechten Straßenseite. Zeit? Knapp!
Ich lege einen Schnellschritt ein, der, abgesehen von deutlichen Temposenkungen auf Grund der Menschenmassen, keine Unterbrechungen duldet. Ein beinloser Mann schlurft über den Boden und hält den Menschen seine Dose unter die Kniekehlen. Überall an den Straßenrändern Frauen und Männer mit Bechern und Dosen in bittender Haltung: Kniend, mit gefalteten Händen. Dahinter festlich dekorierte Schaufenster, teure potentielle Weihnachtsgeschenke. Vor einem Glühweinstand steht jemand unaufhörlich klingelnd im Weihnachtsmannkostüm. Ein älterer Herr drückt mir ein christliches Weihnachtsgedicht in die Hand, ich lächel ihn schnell an - hat er das überhaupt gesehen? Ich laufe weiter. Schnellschritt. Nur durch, durch diesen Rummel. Eine südländisch begabte Band mit einem kleinen Jungen als Eye-Catcher beschallt zehn Quadratmeter Straße. Über dieses Stück kommen sie auf Grund der Lautstärke nicht hinaus. Zehn Meter weiter auf der Gegenüberliegenden Straßenseite eine Band, die traditionelle Weihnachtsstücke spielt: Posaune, was noch? Ich weiß es schon nicht mehr, aber zwischen den Bands der Verkäufer einer Straßenzeitung, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Unterstützenswert. Aber ich laufe weiter. Kurz möchte ich umdrehen, mich entschuldigen: "Ich will ja kaufen, aber... - ja was, aber? Keine Zeit? - Ehm ich also...nein, ich war nicht bei der Bank: In meinem Portemonaie befinden sich gerade 25 Cent und eine Bankkarte." Richtig! Denke ich. "Najaaaa ich könnte auch zur nächsten Bank laufen oder später eine kaufen." Weiter denke ich nicht darüber nach, zu utopisch das ganze, ich bin ja schon vorbei, denk nicht darüber nach, dass "später" um Mitternacht sein wird und kein Zeitungsverkäufer mehr auf der Straße stehen wird. Da ist sie: Die Ecke. Vor mir: der Weihanchtsmarkt. Noch lauter, pompös, überfüllt. Ich biege ab. Hier ist es stiller, leerer. Nur kurz vor meinem Ziel ein einsamer Junge. Vielleicht 15 Jahre alt: mit Becher in den gefalteten Händen, schaut kurz auf, aber lässt mich vorbei ziehen.
Als ich das Gebäude erreiche empfängt mich Wärme, Ruhe und Filmmusik: Paris, Straße, Marktstände, Akkordeon! Ich selbst bleibe unruhig. Diese Großsstadt macht mich kirre. Wenn ich jedem Mensch mit Dose in der Hand etwas gebe, dann habe ich am Ende EINER Straße kein Geld mehr auf der Bank. Aber reicht diese Entschuldigung aus um NICHTS zu tun?
Ich weiß es nicht.
Oder ist es das,  was am meisten mit Weihnachten zu tun hat (?!) Ein kleines bedürftiges Kind kommt im Dreck zur Welt. Die ausgegrenzten ("Ausländer" und der "unterste Bildungsstand") kommen um es zu sehen...

Ein weiterer Gedankenanstoß dazu von einem Poetryslammer:
"Der Obdachlose Gott"

Schreibt mir gerne eure Meinung oder unterstützenswerte Projekte die ihr in dem Bereich kennt!
Danke fürs Lesen!
Eure Nora

P.S: Bitte sucht in diesem Post keine eindeutigen Antworten oder Statements. Dies stellt nur eine Beobachtung meiner Umgebung und meiner Selbst dar.





Dienstag, 12. November 2013

Ein ruhiger winterlicher Tag im Land der 1000 Möglichkeiten

Als ich das Gebäude verlasse empfängt mich klirrende Kälte. Die Luft riecht nach Ski fahren, der Boden glänzt gefroren in den letzten Sonnenstrahlen. Kurze Zeit später färbt sich der Himmel bereits in warmen Farben, strahlt die kleinen Wölkchen an, setzt sie in Szene um sie weiter ziehen zu lassen, bis sie sich irgendwann irgendwo auflösen oder in großen Mengen auf uns niederprasseln.
Die Kälte macht mir nichts aus, entspannt mich, kühlt meinen Körper ab, verwandelt, den von meinem Kopf aufsteigenden, Rauch in zischenden Dampf. Die Stille gefriert meine Ohren. Erst jetzt wird mir die permanente, anstrengende Lautstärke, die im Gebäude klebte bewusst. Kein Vogel macht auch nur einen Pieps. Fast gruselig über einen leeren Campus zu laufen. Aber auch Entspannung! - Wenn da nicht die Bahn wäre, die es zu erreichen gilt. Doch kaum zeigt das Thermometer Minusgrade an sinkt anscheinend auch die Wahrscheinlichkeit der Pünktlichkeit meiner Bahn, so verpasse ich fast meinen Bus, der allerdings zum Glück wie immer unpünktlich kommt. Schön, wenn man sich wenigstens auf Unpünktlichkeit verlassen kann. Um diese Zeit ist der Bus verhältnismäßig leer. Also erhasche ich einen Doppelsitz für mich alleine, auf den ich mich hiefe, um die nächsten zwanzig Minuten aus dem Fenster zu schauen, Musik zu hören - einfach mal nichts tun. Jetzt ist mir alles egal. Ich will nichts lesen, nichts mehr denken, nicht überlegen wann ich welche Aufgabe erledige, oder was ich mir zu essen machen könnte. Ruhe.

Das ist natürlich nicht jeden Tag so! Ich habe große Freude an meinem Studium, Menschen um mich herum, die ähnlich kreativ sind, genieße die Freiheiten des nicht-mehr-Zuhause-wohnens, fühle mich wohl im Süden Deutschlands, unweit einiger toller mir ans Herz gewachsener Leute und bin einfach angekommen in einem "Land der 1000 Möglichkeiten" (wie ich es gerne nenne). Natürlich sind damit auch Nachteile verbunden (ein hoher Arbeitsaufwand zum Beispiel), aber ich fühle mich insgesamt wohl und in einer neuen Welt angekommen. Mit dem "Ld1000M" meine ich, dass ich nah an einer Großstadt mit vielen Kulturangeboten wohne, die mein kleines Uni-Städtchen beinahe genauso bietet, bzw. ergänzt. Mit dem Status des Studenten bekommt man einige Vergünstigungen. Die Uni selbst bietet ebenfalls viele Möglichkeiten, kostenlos oder günstig Dinge zu tun, die man schon immer mal ausprobieren wollte. Der Studiengang bereitet mich auf ein Feld vor, das breit gefächert ist und von dem ich nie gedacht hätte, dass man darin wirklich ARBEITEN kann. Ich bleibe gespannt, wie es sich wirklich in ein paar Jahren mit mir verhalten wird - wo und als was ich arbeiten werde - ob ich einen Bereich finde, von dem ich leben kann und der mich gleichzeitig glücklich macht. Das klingt jetzt beinahe negativ, wsa absolut nicht meinem Gefühl entspricht: Die Dozenten ermutigen uns und geben uns Möglichkeiten mögliche Arbeitsstellen bereits kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen.
Im "Ld1000M" fühle ich mich außerdem gelandet, weil ich nun (endlich) in dem Bundesland wohne, in dem ich tolle junge Filmemacher kenne (Grüßlies!), in dem viele Filmfestivals laufen und ich so in dem Bereich endlich ein Stück weiter kommen kann.
Mein einziges Problem ist, dass ich garnicht so viel Zeit habe, wie es Möglichkeiten gibt. Das Studium gestaltet sich (derzeit) wirklich als Fulltime-Job, der mich fordert und viel Zeit in Anspruch nimmt.

Mein Bus hält mit einem Ruck, der die Frau vor mir beinahe zu Boden schmeißt. Doch sie fängt sich in letzter Sekunde und wir verlassen das überhitzte Uralt-Mysterium von Bus, um wieder von gefrorenem Atem umhüllt zu werden. Häufig überkommt mich der Gedanke, dass die alten Dinger irgendwo ausgemistet werden, um hier auf dem Land ihre Kreise zu drehen, weil man ihnen ihren Ruhestand nicht gönnt. Rente mit 70 - basta!
Mein Absatz hallt auf den Straßen der kleinen Gemeinde, in der ich wohne. Nein kein Großstadt-Leben, kein Studentenwohnheim konnte mich schlucken, auch wenn die Nähe zur Uni und studentischen Aktivitäten täglich neu lockt. Hier gibt es Ruhe. Ruhe und Weinberge. Eine neue Form des Landlebens - nach Wald und Feldern folgen nun Weinberge, die die Täler einrahmen, zieren, verbinden und einen Gegenpol zum schnellen, eindrucksvollen, lauten Leben bieten.





Montag, 11. November 2013

Noch ein paar Meter - eine Wegbeschreibung

Die Türen gleiten mit einem Ruck auseinander und geben den Blick auf einen überfüllten Bahnsteig frei. Meine Füße steigen entschlossen über die Kluft zwischen dieser überfüllten Welt und mir, um sich im Slalom einen Weg zur Rolltreppe zu suchen. (noch 800 Meter)
Wartezeit. Plakate links und rechts an den Wänden. Wissen? Oper! Konzert. Eine Frau stapft an mir vorbei und erhöht so ihre Geschwindigkeit um das doppelte. Ein Sprint um die Ecke. Erneut eine Rolltreppe: Plakate links und rechts an den Wänden, von hässlichen Fliesen umrahmt, werben für Messen, Events und Institutionen. Dann verlassen meine Füße den rollenden Untersatz wieder und streben gen Bahnsteig 15. (noch 700 Meter)
Der Großstadtbahnhof hat mich wieder, umschließt mich, schubbst mich, treibt mich, fliegt mir Tauben in den Weg, zwingt mich durchs Schildermeer seiner Baustellen, lässt keinen Widerstand zu.
Bahnsteig 15. (noch 100 Meter) Suchend blicke ich mich um, laufe weiter. Meine Augen scannen unbewust jedes Gesicht, jede Statur, jede Gangart und Körperhaltung, dann entdecken sie das gesuchte Objekt, (noch 10 Meter) meine Beine steuern darauf zu. Im selben Moment wird das Objekt zum Subjekt: schaut mir direkt in die Augen, ein tiefgehender Blick, man kennt sich! Mein Gesicht hellt sich auf, ist nicht mehr Alltag, nicht Gewohnheitsblick, nicht treibender Bahnhofsstress, ist Freude! Er lächelt, (noch 2 Meter), wartet, (noch 1 Meter) schließt mich in seine Arme. Sein Gesicht hat winterlichte Temperaturen angenommen. Sein Herz pocht nah an meinem.
(noch 0 Meter)

Montag, 21. Oktober 2013

Ein Geburtstagsgedichtchen

Liebe Leserinnen und Leser,

diesen Post möchte ich einer ganz besonderen Autorin widmen, die heute Geburtstag hat!
Ohne diese Bloggerin würde man hier nichts von mir lesen, würde dieser Blog schlicht nicht existieren und hätte ich das Bloggen vielleicht schon längst aufgegeben und nurnoch "für die Schublade" geschrieben.
Sie brachte mir bisher immer und immer wieder Motivation und Inspiration zu neuen Einträgen.

Der Hauptblog einer Heldin meiner Kindheit:
http://annas-gedankenflug.blogspot.de/

und ihre ebenso lesenswerten Nebenblogs:
http://theoundich.blogspot.de/
http://annas-beleuchtung.blogspot.de/
http://fortsetzung.blogspot.de/

Und hier ein kleines Geburtstagsgedichtchen für Anna:

Manchmal denkt sie von sich klein,
machmal möcht sie weiser sein.
häufig doch trifft sie's genau,
auf den Punkt, denn sie ist schlau! ;)
Häufig auch probiert sie's neu,
bleibt nicht stehen, testet ohne Scheu,
was man wieso so wie schreiben kann,
macht sich an neue Genre ran.

Immer denkt sie, meistens viel,
beobachtet scharf und mit klarem Ziel,
veröffentlicht, was sie entdeckt,
in and'ren neues Denken weckt!

Jetzt muss ich aufhörn, es ist schon spät.
Ich muss ins Bett, der Tag schon geht,
zur Neige auch ihr Ehrentag,
Ich hoff' es trifft sie beim Lesen nicht der Schlag,
weil meine Kunst nicht allzu groß,
es war ein Geburtstagsgedichtchen bloß.

Alles Liebe!
Nora Johanna (:

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Mein neues Zuhause

Grünes Licht erhellt die Kreuzung. Der Bus überquert den erleuchteten Platz um über die Landstraße zu flüchten. Nachts sind nur die Besoffenen langsam. Alle anderen wollen nach Hause oder zumindest nicht geklaut werden. Zumindest hier. Glaub ich zumindest... .
Ich bemühe mich sehr alles aufzunehmen, was neu für mich ist, was anders ist, was nützlich scheint.

Der Dialekt hier bringt mich immer wieder zum Schmunzeln: Eine Straße, durch die mein Bus fährt heißt doch tatsächlich "Poststräßle". Dass man hier verniedlichend an viele Wörter ein "le" hängt, habe ich schon mitbekommen. Auch Brötchen, findet man nicht unbedingt unter Wecken, sondern als "Weckle"!
Auch interessant: Wenn an der Bäckerei "Laufend frische Brezeln" steht, heißt das lediglich, dass es zu jeder Zeit frisch gemachtes, warmes Laugengebäck gibt.
Ich musste bereits feststellen, dass schwäbische Brezeln tatsächlich noch einmal anders schmecken als badische. Wer im Ruhrgebiet lebt kann jetzt absolut nicht mitreden (die kann man nämlich net esse!) Und an alle Schwaben: Es tut mir leid, aber bisher schmecken die badischen mir besser!

Die Frau neben mir im Bus schwätzt irgendwas vor sich hin. Zwischendurch guckt sie mal zu mir herüber. Redet die mit mir? Abgesehen von ihr ist der Bus mucksmäuschenstill und müde. Ich versteh sie nicht und will am liebsten dauerhaft lächeln und winken - ne lieber nicht winken. Schwätzt die eigentlich oder babbelt die? Das mit den Schwaben und den Baden, ist (zumindest hat man mich schon öfter darauf hingewiesen) ein echtes Problem: Vertausche niemals einen Baden mit einem Schwaben, er könnte arg beleidigt werden. Allerdings habe ich das Gefühl: So sehr man auch aufpasst: Schwäbisch und Badisch ist einfach nicht klar zu trennen. Man kann weder Fettnäpfchen vorbeugen noch ihnen entgehen. Bisher habe ich keinen getroffen, der mir klar sagen konnte, ob er badisch oder schwäbisch spricht (die Franken wissen das besser von sich!) bzw. Wörter einem der beiden Dialekte klar zuordnen konnte. Mir wurde auch empfohlen sich nicht mit dem württembergischen blauen Blut anzulegen, dass es hier immernoch gibt.
Empfehlungen gibt es sowieso eine Menge. Dazu gehört auch:
  Vernachlässige nie die "schwäbische Kehrwoche" sonst kannst du dich böse mit deinen Nachbarn anlegen!
Andererseits hätte ich fast einen Schock gekriegt, als ein Nachbar nachts um halb 1 seine Mülltonne über den Hof zog. Sin sie wirklich eigenartig, die schwaben, oder sind sie nur genauso kuriose Menschen, wie die ausm Ruhrpott?
Es ist schon witzig, wie viele Mythen über den Schwaben hängen: was sie sind und wie sie sind und was sie tun ode rnicht tun. "Das macht man halt net!" ist in dieser Kultur angeblich ein echter Leitspruch. Echte schwäbische Hausfrauen machen kein Wasser in den Spätzleteig (sondern 12 Eier auf einen Kilo Mehl!!!)
Da könnt ich glatt sagen: 'Die sin doch nimmer ganz knuschber!'
Ich weiß: ich kann noch lange kein Schwäbisch und ich bin auch gewiss kein 'Schwoab'- will ja auch nicht geizig sein und hab grad keine Ambitionen einen auf  'Schaffe schaffe Häuslebauer' zu machen, aber ein wenig anpassen möchte ich mich schon und ich habe Freude daran.
Nur manchmal habe ich das Gefühl alle hier sehen mir an der Nasenspitze an, dass ich nicht von hier bin. Selbst der aus Asien stammende mir gegenüber im Bus ist mehr Schwabe als ich.

In der Dunkelheit taucht plötzlich ein gleißend helles, weiches Licht auf. Es strahlt auf matten, dunklen, kalten Nebel, der eine einsame Firma an einer ebenso einsamen Straße in mystischem Licht erstrahlen lässt.
Und plötzlich bin ich sowas, das nennt sich erwachsen (jedenfalls offiziell), und stehe ohne schlechtes Gewissen zu später Zeit allein auf Bahnsteigen rum.

Der Absatz meiner Stiefel hallt selbstbewusst durch die Straßen - da ist er weiter als ich. 
Mir ist nicht kalt, obwohl ich heute viel durch den Regen gelaufen bin und meine Kleidung teilweise noch feucht ist. Eigentlich bin ich eher der Typ Mensch, der sich grundsätzlich zu warm anzieht - vielleicht gewöhn ich mir das jetzt ab, wo keine Mutter mehr auf die Idee kommen kann zu sagen: "Kind, zieh dich warm an! Mir ist kalt." - ein Spruch den ich eigentlich schon immer albern fand.
Ich will nicht an typischen Müttersprüchen rummeckern, die Südländer haben auch bescheuerte: "Nicht gemeckert ist Lob genug!" zum Beispiel.
Ich finde Lob (abgesehen davon dass er zu den pädagogisch wertvollsten Methoden gehört sofern es sich bei dem Zöglin nicht um einen unnormal selbstbewussten jungen Mann handelt) sehr wichtig und möchte hiermit ein Lob für den tollsten Typen aussprechen, der auf die Idee kam mein Lattenrost mit Legosteinen links und rechts im Bettkasten zu fixieren, damit es nicht auf einer Seite abstürzt!


Ich dreh den Schlüssel im Schloss um und betrete den dunklen Hausflur. Ja ich freu mich auf mein warmes Bett. Morgen früh werde ich SWR3 zum Frühstück über das Radio empfangen. Ich hoffe, dass eine der schlimmsten Plagen im Herbst morgen auf dem Weg zur Uni ausbleibt: Weinbauern sind hier auf den Straßen mit ihren langsamen Treckern (sofern sie nicht "getunt" sind - auch das habe ich schon gesehen) unterwegs und blockieren ganze Straßenzüge, bis sie endlich abbiegen. Das löst riesige Stauschlangen aus. Eine weitere Plage sind die vielen Wasen-Besucher, die in ihren Oktoberfestkleidchen frierend auf Bahnsteigen und in Zügen im Umkreis von 60 Kilometern täglich anzutreffen sind.

Mein Zimmer ist heute sogar relativ warm, als ich es betrete, da ich die Heizung nicht ganz abgedreht habe bevor ich gegangen bin. Ich schließe den Tag und somit meinen heutigen Post.

Guts Nächtle!
Nora Johanna

Donnerstag, 19. September 2013

Was Abschied heißt...

Noch 8 Tage bis zum Umzug nach Süddeutschland!!!

Ich bin aus dem Bus ausgestiegen, der mich so oft in die Stadt gebracht hat und laufe los. Der Sonne entgegen, die mir Keck ins Gesicht strahlt. Sie ist gerade erst zwischen den Wolken hervorgekrochen und ich stelle fröhlich fest, dass es das erste Mal ist, dass sie sich mir heute zeigt.
In den letzten Tagen und Wochen geht es mir häufig so wie mit der Sonne: Ich mache mir viele Sorgen, Gedanken und sehe, was noch alles geschafft werden muss bis zum Umzug und dabei kommt nur ab und zu Sonne über mein Gesicht. Ich muss vieles zurück lassen; vor allem Gewohnheiten und Menschen. Ich schreibe bewusst nicht Freunde, weil mir heute klar geworden ist, dass ich auch die Busfahrer meine von denen ich inzwischen genau weiß, wer penibel das Ticket kontrolliert und wer einen miserablen oder eben hervorragenden Fahrstil hat; oder meine kompetente, hilfsbereite Ärztin, von der ich immer wusste, was ich an ihr habe. Ich habe mir hier irgendwie einen Kreis von Leuten aufgebaut, auf die ich mich verlassen kann. Und jetzt lass ich sie alle hier und gehe weg. Natürlich ziehen auch einige andere Freunde, die jetzt Abitur gemacht haben zum Studieren oder um eine Ausbildung zu machen weiter weg und viele sind jetzt schon im Ausland. Trotz all der Freude über meine neuen Wege, fehlen sie mir - jetzt schon.
Ich überquere den Bahnübergang und schaue dabei in die unendliche Weite der Schienen.Viel unendliche Weite gibt es im Ruhrgebiet eigentlich nicht. Aber hier in der Gegend ist es so flach, dass ich täglich wunderschöne Sonnenuntergänge von meinem Fenster aus beobachten konnte. Auch die werden mir wohl fehlen. Andererseites freue ich mich endlich wieder umgeben von Bergen und zugleich weiterhin auf dem Land zu wohnen. In Zukunft werde ichumzingelt von Weinbergen wohnen.
Ich kann meine Melancholie nicht verbergen. Ich liebe diesen einen Vorgarten in meiner Straße in dem der Lavendel so hoch wächst, dass man mit den Händen daran entlanggehen kann und diese nachher angenehm duften und dessen Duft, morgens auf dem Weg zur Schule, bei der richtigen Luftfeuchtigkeit, in der ganzen Straße hing. Ich freue mich, dass die Frau mich grüßt, die sich so gerne mit ihren Nachbarinnen auf der Straße unterhält und analysiere, was sich seit heute morgen alles an dem Haus verändert hat, das gerade neu gebaut wird.
Ich freue mich über die Sonne, die die vielen Tropfen auf der dunkelgrünen Hecke ein paar Häuser weiter langsam verdampfen lässt und ich merke, dass ich eigentlich noch garnicht begreife was Abschied heißt und dass die Freude auf die vielen neuen Möglichkeiten gerade alles graue und nasse wegwischt und verdampfen lässt.

Seid lieb gegrüßt
Nora

P.S: Jaaaa wenn ich das Chaos ein bisschen überwunden habe oder zwischendurch Zeit finde gibt es auch wieder einen Norwegen-Road-Trip-Post

Samstag, 7. September 2013

Roadtrip - Norddeutschland Süddänemark - Teil 2

Oder auch: Tag 1 unseres Roadtrips

Am Tag zuvor hatten wir das Auto gepackt. In den geliehenen Kombi passte eine Matratze gerade so rein. Kisten mit Essen, Kochbesteck und einem Gaskocher, sowie alles was man sonst noch so brauchte um eine Woche zu überleben fanden ihren Platz in unserem Zuhause auf vier Rädern.
Man mag nicht glauben, dass man da abends noch Platz zum 
Schlafen finden konnte! Wir mussten auch so manches nach 
vorne räumen.

Meine Katze Lucky fand das auch alles sehr interessant, wurde allerdings nach einer genauen Begutachtung (nicht der Katze sondern des Autos!) wieder rausgeschmissen.
Mit dabei natürlich auch Taddys Regenjacke, die Teil
jeder kleinen und großen Reise ist :)
Außerdem seht ihr rechts im Bild den Packen Papier von 
Fährtickets, Erziehungsaufträgen, Wanderstrecken...

Morgens machten wir uns auf den Weg um Mittags unseren ersten großen Zwischenstopp am Hamburger Hafen zu machen. Uns empfängt eine Großstadt mit großen unübersichtlichen Kreuzungen, vielen Ampeln und zur Stadtgröße gehörenden Fahrstile der Autofahrer. Nach einer Eingewöhnungsphase an Wind und Kälte erkunden wir planlos den Hafen.
Das Cliché stimmt: Jeder Mann, der sich hier als eindeutiger Hamburger (nein natürlich nicht dieses essbare Ding!) oder zumindest als Norddeutsche zu identifizieren ist misst mindestens 1,90 Meter! Allerdings sind mindestens 2/3 der Menschen um uns herum Touristen.
Wir beobachten die Menschen um uns herum etwas genauer:
Halbstarke auf Pfosten sitzend essen Fischbrötchen, testen ihre Kraft beim Stemmen von Eisenringe alter Ketten oder fahren von all den Menschen unbeeindruckt mit dem Skateboard durch die Touristenmassen.
Die Rundfahrtschiffbetreiber stecken einander gegenseitig aus. Hier gewinnt wer das größte Schiff, die überzeugenste Werbung oder den lautesten Marktschreier hat.
Hamburg ist eine Stadt mit vielen Gesichtern: Arme unter Brücken, Reiche mit Aktenkoffern und Businessanzügen, Sankt-Pauli-Fans und Repabahnbesucher.
Hier treffen alternative auf alternativlose, Touristen auf Alltag und eine Großstadt auf eine kleine Welt.
Hier riechts nach Fisch, obwohl das Meer nicht in Reichweite ist, hier rauscht der Wind, hier klatschen muntere Wellen an kalten Beton, hier finden große Regentropfen ein kleines Zuhause.
Unwirkliche Entdeckung in der Nähe des Hafens - bei dem Wetter

Und so verabschieden wir uns vom kühlen Nass und fahren weiter um den Abend in Flensburg zu verbringen. Leider kommen wir zu spät an um noch geöffnete Geschäfte vorzufinden- das wird uns noch öfter passieren.
Mein erster Eindruck von Flensburg lässt sich in einem Wort zusammenfassen: SPIEßER!!!
Yachten, Strandbar, Normalo-Läden - nichts ausgefallenes - die Punktezocker.
Doch da habe ich mich gewaltig getäuscht. Am Hafen begegnet uns ein Mann der Peter Lustig erstaunlich ähnlich sieht und abseits des Weges rauchend an uns vorbei hastet. Sofort spinnt mein Kopf die Geschichte eines Aussteigers. Wenn man genau hinsieht findet man entlang der Haupt-Einkaufsstraße kleine Seitengassen und Höfe, in denen kleine Lädchen ihr Zuhause gefunden haben.  Uns begegnet ein Jugendlicher im bunten Pulli und über den Kirchplatz läuft ein alter Mann mit Ziegenbart mit der Statur eines Zwerges. Doch den Höhepunkt der "Unspießigkeit" bilden ein Vater mit seinem Sohn, die im High-Speed eine steile Straße auf einem Kinderrad hinunterrasen. Sie rasen auf eine an der Bushaltestelle wartende Menschenmenge zu, in der wir uns gerade, auf dem Weg die Straße zu überqueren, befinden. Der Junge mit der Haube auf dem Kopf rast auf uns zu und schreit freudig auf als die Reifen seines Rads laut quietschend, nur einen Meter vor unseren Füßen, zum Stehen kommen. SPIEßER??? Nie im Leben!


Eine der Seitengassen - Weinstube (oben)
Die wunderschöne Altstadt Flensburgs (links)


 Aabenraa ist die erste ausländische Stadt der wir begegnen. Die dänische Hafenstadt soll uns einen Schlafplatz am Meer bieten. Nach einiger Suche finden wir einen Picknick- & Lagerfeuerplatz mit Strand direkt am Meer. Leider sind die Häuser nicht weit und ein paar "Gängschtaaa" haben sich hier bereits breit gemacht:
Der erste Sonnenuntergang dieser Reise :)

Also machen wir uns mit Hilfe des Navis auf die Suche nach einer abgelegenen am Meer liegenden Straße. Nach dem wir nach fast zwei Stunden noch immer keinen geeigneten Schlafplatz gefunden haben entschließen wir uns müde und ein bisschen frustriert die holprigen Wege zu verlassen und einen Rastplatz an der Autobahn aufzusuchen.
Dort angekommen essen wir schnell etwas und bereiten uns unser Bett zum ersten Mal vor. Es ist ganz schön eng (woran man sich mit der Zeit gewöhnt!) aber sehr viel wärmer als die Außentemperaturen!

Grüße
Nora

Freitag, 6. September 2013

"Wer fliegen lernen will...

...muss halt mal springen" sagte sie.

Ich HASSE springen!!!
Ich habe es gehasst, wenn ich in der Schule vom 3er springen sollte.
Die einzige Station, die ich ich bei einem Klassenausflug in einen Kletterpark nicht schaffte war die, bei der ich auf einen hohen Baumstumpf klettern und in die Tiefe springen sollte.
Und ich gehöre nicht zu den "Kicksuchenden" Menschen, die unbedingt mal aus einem Flugzeug springen wollen - ich bin eigentlich schon glücklich keine Flugangst zu haben!

Die Menschen träumen schon sehr sehr lange vom Fliegen. Davon, dass ihnen Flügel wachsen, oder wie Dädalus und Ikarus, die welche wachsten... .
Aber wenn ich dem Traum plötzlich so nahe komme, dass ich auch den tiefen, harten Abgrund sehen kann in den ich fallen könnte, dann möchte ich den kleinen Schritt, den einfachen Sprung der alles in Gang setzt, gar nicht mehr tun. Zu groß ist die Welt, zu unwirklich die Realität, zu klein die Distanz zum Ziel. Und was kommt überhaupt danach? Das größere Ziel natürlich! Aber erreiche ich es jemals? Oder ist das alles nur "heiße Luft" durch die ich falle? Stelle ich am Ende fest, dass Traum Illusion war? Utopie? Und außerdem sind doch so viele schon gefallen: Flugpioniere, deren Konstruktionen nicht ausgereift waren.
Was passiert, wenn ich jetzt springe und feststelle die Flügel vergessen zu haben?

Als Kind bin ich einmal in einem Schwimmbad auf der Suche nach meiner Mama ohne Schwimmflügel ins Wasser gegangen. Ich habe einfach vergessen, dass ich sie im Kleinkinderbecken nicht gebraucht hatte.
Hätte ich einfach in dem Becken bleiben sollen, in dem ich stehen konnte? Wäre das nicht sicherer gewesen? Einfacher und genauso spaßig?
Aber die Geschichte ging ja gut aus und vielleicht ist das die Realität:
Wenn ich sinke lande ich beim Bademeister.

Manchmal wirken kleine Schritte zum Ziel plötzlich riesig groß. Nicht wegen einer optischen Täuschung, sondern weil ich aus mir selbst heraus gehen muss. In solchen Momenten fällt mir "gegen den Strom schwimmen" unheimlich schwer. Aber ich weiß: Wenn es einmal eine Flugmaschine gibt, die funktioniert und mehrfach hergestellt wird, bin ich nicht mehr alleine. Dann läuft alles. Bis dahin muss ich durchhalten.
Ich muss nur die Zeit des Fallens ertragen. Die Zeit in der die Zeit still zu stehen scheint, in der nichts vorwärts zu gehen scheint, in der ich nicht weiß, ob meine Flügel mich tragen werden.

Danke fürs Lesen :)
Nora

Mittwoch, 4. September 2013

Roadtrip - eine Urlaubsempfehlung - Teil 1

Ich blättere durch dreizehn-ein-halb unvollständige Seiten Papier, die mir von einer Woche unterwegs mit meinem Freund Thomas, Agnes und einem blauen Opel Astra erzählen. Aus dem Heft fallen mir Fährtickets, Touristeninformationsblätter und Parkscheine entgegen.
Wer Agnes ist? Sie ist unsere geliebte Begleiterin dieser Woche Abenteuer. Sie kennt sich hier genauso wenig aus wie wir, aber erinnert sich häufig an einige Details die wir im Nachhinein vergessen hätten. Diese gesellige Begleiterin lässt sich lecht überall mit hinnehmen. Sie ist robust und wetterbeständig.
Agnes heißt die kleine Spinne die in Thomas DSLR-Kamera wohnt und Bilder von der Umgebung in die man sie mitnimmt zeichnet.
Agnes zwang uns auf unserer Reise häufiger zu ungeplanten Zwischenstopps, aber die konnten wir dieser reizenden Dame auch nicht abschlagen.
Aber fangen wir von vorne an:

Als Kind träumte ich vom Urlaub mit einem Wohnwagen, später mit einer Freundin von Reisen durch Deutschland, zu Verwandten im Ausland bis zur Weltreise. Ich mag Spaziergänge am Meer, aber noch viel lieber bin ich in den Bergen mit wunderschöner Aussicht auf Täler und Schwimmmöglichkeiten in Bergseen.
Diesen Sommer schickte mein Freund mir dieses Bild und fragte, ob ich nicht mit ihm eine Reise nach Norwegen machen möchte.


Wer könnte da nein sagen? Ich jedenfalls nicht. Und so informierten wir uns über Preise für Flüge, Mietautos, bei der Bahn und so weiter bis Thomas schließlich ein Auto in Deutschland mietete und wir Fähren von Dänemark nach Norwegen und zurück buchten.
Die Strecke, die Thom in 9 Tagen gefahren ist sieht ungefähr so aus:

Wir recherchierten Zollbestimmungen (möglichst keine Kartoffeln, Alkohol, Tabak und nur bis zu 10 kg Fleisch und Käse einführen!), das "Jedermannsrecht" (welches erlaubt überall in Norwegen zu campen, sofern man außer Sichtweite von Anwohnern ist, diese nicht stört und die Natur unbeschädigt zurück lässt), auf welchen Strecken man Maut bezahlen muss und Touristenattraktionen oder andere sehenswerte Orte. 
Außerdem schrieben wir eine ausführliche Packliste auf der vom Toilettenpapier bis zum Kochtopf nichts fehlen durfte. Thom beschäftigte sich intensiv mit der Strecke und unseren Etappenzielen, während ich im Vorhinein für das leibliche Wohl sorgte (dazu muss gesagt werden das meistens Thomas gekocht hat, hier also kein Klischee bedient wird!) Am kompliziertesten war die Auseinandersetzung mit den Dokumenten für die Fähre, weil Thomas dort als mein Erziehungsberechtigter galt. Wir füllten 2 verschiedene Dokumente in mehrfacher Ausführung aus, ließen alles fein säuberlich von meinen Eltern unterschreiben, aber letztendlich wollte das nie jemand sehen. 

Ich war sehr dankbar im Vorhinein auf Blogs anderer Reisenden von deren Erfahrungen profitieren zu können. Deshalb werde ich euch nun alle paar Tage Berichte und Erfahrungen unserer Reise veröffentlichen.

Ich hoffe ihr fühlt wenigstens einen Bruchteil der Freude beim Lesen, die wir beim Erleben hatten. 

Liebe Grüße
Nora (und Thomas)


Dienstag, 3. September 2013

Restart

Ich habe lange keine Neuigkeiten mehr mit euch geteilt.

Eine befreundete Bloggerin schrieb mal, dass wenn sie weniger bloggt gerade umso mehr in ihrem Leben passiert. Das kann ich bestätigen. Aber vielleicht sind es auch eine Prise Faulheit, ein Teelöffel schlechtes Gewissen und 100 Gramm Selbstzweifel, die mich davon abgehalten haben meine Gedanken festzuhalten.
Zu versuchen die letzten Monate zusammenzufassen wäre ein sinnloses Unterfangen, dennoch möchte ich in der nächsten Zeit Bruchstücke daraus mit euch teilen.

Ich befinde mich in einer Zwischenzeit: Zwischen Abitur und Studium, zwischen Jugend und erwachsen werden, zwischen Altgewohntem und Neustart, zwischen Urlaub und Umzug, zwischen Stress und Ruhe vor dem Sturm, zwischen Freude und Angst.
Davon möchte ich euch erzählen.

Ich freue mich immer über Feedback, das ihr auch über das neue Kontaktformular in der rechten Spalte geben könnt.

Bis bald auf meinem Blog ;)
Nora




Sonntag, 27. Januar 2013

Der Zauber schmilzt

Wie Sand sieht er aus. Heller, reiner Sand, der den Teer bedeckt, die Straße versteckt.
Doch er ist schmutzig. Verdreckt vom Staub der Welt. Durch den Schlamm gezogen. Ich bevorzuge das reine Weiß im Garten. Doch in den nächsten Tagen wird er sich in Schlamm verwandeln. Ich höre ihn bereits schmilzen. Überall tropft, knackst, knirscht und gluckert es. Die Decke bricht auf, verschwindet langsam und bringt die kaputte, jahrtausendalte Erde zum Vorschein. Zerschlissen von Zeit und Menschenhand. Und doch so robust und beständig wie nichts sonst was wir kennen. Sie besteht immer weiter. Bleibt in ihrem altbekannten Rhythmus. Hier zu Lande bedeutet das den regelmäßigen Wechsel von einem erwachenden Frühling, aktiven Sommer, sterbenden Herbst und ruhenden Winter. Der Winter ruht nicht länger, er kommt in Bewegung und auch ich möchte wieder laufen. Raus an die Luft. Genug Winterfreuden (und für manche auch Leiden) sind gelebt und werden zur Vergangenheit. Der Frühling zeigt sich noch lange nicht, aber der Winter verliert an eisiger Kälte und Frost. Ein einsamer Geselle über den viel geurteilt wird. Zwischen lebensfroher Überschwänglichkeit und herzensharter Stille bewegt er sich unauffällig oder aufbrausend. Er sagt uns langsam tschüss. Mag nicht mehr die fluchenden Autofahrer in seinen Ohren ertragen müssen. Ist müde von den vielen jubelnden Kinderschreien und dass ständig auf ihm herum getrampelt wird.
Ich möchte ihn ein letztes Mal genießen. Ihn auf meine Art verabschieden.
Dieses Jahr hat er mich nicht krank ins Bett geschickt. Wir haben uns nach diesem, Jahre andauernden, Streit versöhnt. Ich war wieder Kind auf dem sausenden Schlitten, bei hitzigen Schneeballschlachten, beim Erstellen von Schneeengeln in Jeans und beim Tanzen durch die Flocken und mit ihnen. Ein wenig älter bei Spaziergängen durch die Zauberlandschaft und einfach glücklich beim Anblick.
Ein Zeichen für Friede: Weiß, wie die Taube. Klare Luft, keine Schadstoffe mehr, die mich belasten: Freiheit! Freiheit zu tun was man will. Wieder Kind zu sein oder sich zu ärgern wie die Erwachsenen. Schlittschuhlaufen oder sich über blaue Flecke vom Hinfallen ärgern. Eisige Verrücktheit. Ein Stück Leben, ein Stück lebendiges ich. Glücklich und frei, wenn ich mich dazu entscheide. Manchmal einfach ein Blick in die unvollkommene (vom Schnee beleuchtete) Dunkelheit, beim warmen Tee, in der warmen Stube. Gemütlichkeit. Adventswarten, Weihnachtsfreuden und Silvesterträume, gefolgt von Neujahrschaos. Alles wird neu und altes vergeht.
Es heißt also: „Winter adé!“ Ein letztes Mal spaziere ich durch die geräuschvolle Kulisse, laufe, renne, hüpfe durch die Winterluft. Dieses Mal bin ich nicht dick eingehüllt in Mantel, Mütze und Schal. Dieses Mal fassen meine Hände ungeschützt durch das kühle Nass. Dieses Mal sind meine Füße dem Schnee ausgeliefert. Der dicke Zeh berührt vorsichtig die weißen Teppich. Ein Schritt, noch ein Schritt. Barfuß tapse ich wie eine Katze leise über Watte. Eine weiche, feste Masse lässt meine Füße erstarren. Bewegung! Ich renne die Gartenfurche entlang. Springen! Ich klettere auf das Trampolin und lasse mich vom Wind in die Luft hinauf und wieder runter wehen. Er will mich mitziehen. Meine Haare wehen, tanzen, fliegen, hüllen mich ein. Ein paar letzte Schritte durch den Begleiter der letzten Wochen. Er hat seine Mission erfüllt, und ich die meine, lang geplante, endlich erfüllte:
Mission „Barfuß durch den Schnee“ erfolgreich ausgeführt.

Grüße von dem verrückten Mädchen.

P.S: Meine Meinung zum Wetter:
„Sonnenschein ist köstlich, Regen erfrischt, Wind kräftigt, Schnee erheitert. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur verschiedene Arten von gutem.“ (John Ruskin )