Sonntag, 27. Januar 2013

Der Zauber schmilzt

Wie Sand sieht er aus. Heller, reiner Sand, der den Teer bedeckt, die Straße versteckt.
Doch er ist schmutzig. Verdreckt vom Staub der Welt. Durch den Schlamm gezogen. Ich bevorzuge das reine Weiß im Garten. Doch in den nächsten Tagen wird er sich in Schlamm verwandeln. Ich höre ihn bereits schmilzen. Überall tropft, knackst, knirscht und gluckert es. Die Decke bricht auf, verschwindet langsam und bringt die kaputte, jahrtausendalte Erde zum Vorschein. Zerschlissen von Zeit und Menschenhand. Und doch so robust und beständig wie nichts sonst was wir kennen. Sie besteht immer weiter. Bleibt in ihrem altbekannten Rhythmus. Hier zu Lande bedeutet das den regelmäßigen Wechsel von einem erwachenden Frühling, aktiven Sommer, sterbenden Herbst und ruhenden Winter. Der Winter ruht nicht länger, er kommt in Bewegung und auch ich möchte wieder laufen. Raus an die Luft. Genug Winterfreuden (und für manche auch Leiden) sind gelebt und werden zur Vergangenheit. Der Frühling zeigt sich noch lange nicht, aber der Winter verliert an eisiger Kälte und Frost. Ein einsamer Geselle über den viel geurteilt wird. Zwischen lebensfroher Überschwänglichkeit und herzensharter Stille bewegt er sich unauffällig oder aufbrausend. Er sagt uns langsam tschüss. Mag nicht mehr die fluchenden Autofahrer in seinen Ohren ertragen müssen. Ist müde von den vielen jubelnden Kinderschreien und dass ständig auf ihm herum getrampelt wird.
Ich möchte ihn ein letztes Mal genießen. Ihn auf meine Art verabschieden.
Dieses Jahr hat er mich nicht krank ins Bett geschickt. Wir haben uns nach diesem, Jahre andauernden, Streit versöhnt. Ich war wieder Kind auf dem sausenden Schlitten, bei hitzigen Schneeballschlachten, beim Erstellen von Schneeengeln in Jeans und beim Tanzen durch die Flocken und mit ihnen. Ein wenig älter bei Spaziergängen durch die Zauberlandschaft und einfach glücklich beim Anblick.
Ein Zeichen für Friede: Weiß, wie die Taube. Klare Luft, keine Schadstoffe mehr, die mich belasten: Freiheit! Freiheit zu tun was man will. Wieder Kind zu sein oder sich zu ärgern wie die Erwachsenen. Schlittschuhlaufen oder sich über blaue Flecke vom Hinfallen ärgern. Eisige Verrücktheit. Ein Stück Leben, ein Stück lebendiges ich. Glücklich und frei, wenn ich mich dazu entscheide. Manchmal einfach ein Blick in die unvollkommene (vom Schnee beleuchtete) Dunkelheit, beim warmen Tee, in der warmen Stube. Gemütlichkeit. Adventswarten, Weihnachtsfreuden und Silvesterträume, gefolgt von Neujahrschaos. Alles wird neu und altes vergeht.
Es heißt also: „Winter adé!“ Ein letztes Mal spaziere ich durch die geräuschvolle Kulisse, laufe, renne, hüpfe durch die Winterluft. Dieses Mal bin ich nicht dick eingehüllt in Mantel, Mütze und Schal. Dieses Mal fassen meine Hände ungeschützt durch das kühle Nass. Dieses Mal sind meine Füße dem Schnee ausgeliefert. Der dicke Zeh berührt vorsichtig die weißen Teppich. Ein Schritt, noch ein Schritt. Barfuß tapse ich wie eine Katze leise über Watte. Eine weiche, feste Masse lässt meine Füße erstarren. Bewegung! Ich renne die Gartenfurche entlang. Springen! Ich klettere auf das Trampolin und lasse mich vom Wind in die Luft hinauf und wieder runter wehen. Er will mich mitziehen. Meine Haare wehen, tanzen, fliegen, hüllen mich ein. Ein paar letzte Schritte durch den Begleiter der letzten Wochen. Er hat seine Mission erfüllt, und ich die meine, lang geplante, endlich erfüllte:
Mission „Barfuß durch den Schnee“ erfolgreich ausgeführt.

Grüße von dem verrückten Mädchen.

P.S: Meine Meinung zum Wetter:
„Sonnenschein ist köstlich, Regen erfrischt, Wind kräftigt, Schnee erheitert. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur verschiedene Arten von gutem.“ (John Ruskin ) 

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